Interview mit einem Wal
Eine unglaubliche Geschichte aus den Westfjorden
Am ersten Augustwochenende im Jahr 2009, einem nationalen Feiertag hier in Island, hatte ich ein Erlebnis, das mein Leben verändern sollte. Ich befand mich mit meiner Familie auf der Farm Hella im Steingrímsfjördur in den Westfjorden. Ein wunderbarer Ort, wo man tief in die Natur eintauchen kann, und das Gras wachsen hören kann. Auf der anderen Seite des Fjordes liegt Hólmavík, ein Fischerort mit ein paar hundert Einwohnern, an der Fjordmündung findet man Drangsnes mit nicht viel mehr Einwohnern, und auf der Insel Grímsey draßen im Meer wohnen dann nur noch Papageientaucher.
An diesen Morgen hatten sich unsere Kinder früh auf den Weg zum Strand gemacht, um Abenteuer zu erleben. In der Regel passiert ja nichts, wenn man Abenteuer sucht. Aber an diesem Morgen war das anders. Die Kinder fanden nämlich am Strand von Hveravík einen Wal. Einen echten Blauwal, der noch lebte und Wasserfontänen in die Luft blies. Keine Stunde später standen wir alle am Strand und betrachteten das größte Lebewesen der Welt. Es war möglicherweise auf der Jagd nach Makrelen zu nah an den Strand geschwommen und im flachen Wasser gestrandet. Makrelen hat es früher nicht so weit nördlich gegeben, Meeresforscher glauben, daß die zunehmende Erwärmung der Weltmeere für diese neuen Fischzüge verantwortlich ist.
Ich holte meinen Tauchanzug, ließ mich mit einem Seil sichern und watete herüber zu dem Koloß. Ihn anzufassen, auf seinem Rücken zu sitzen und sein Leben, sein Gurgeln und Blubbern zu spüren, vom Wasser aus seinen Fontänen überspült zu werden, war ein unbeschreibliches Gefühl! Es schien als wisse der Wal genau, daß wir helfen wollten. Was bei 200 Tonnen Lebendgewicht nicht einfach war, doch der 20-Tonner MS Sundhani aus Drangsnes kam uns zur Hilfe und würde zusammen mit der Flut versuchen, den Wal ins tiefere Wasser zu ziehen. Wir befestigten ein Seil um die Schwanzflosse, und tatsächlich gelang es mit vollem Maschineneinsatz, den Koloß zu bewegen. Er reagierte zunächst ein wenig panisch, was uns Helfer das Leben hätte kosten können, doch dann ließ er sich hinaus in den Fjord ziehen und die Hälfte der Rettung war geschafft!
Zauber zwischen Wal und Mensch
Das Zugseil zu entfernen war am Ende das größere Problem, und wir entschieden uns, es einfach durchzusägen. Und hier beginnt die zweite wunderliche Geschichte: der Wal blieb beim Schiff, umschwamm es mehrmals und hob das Seil sogar mit seinem Kopf an, als wolle er uns zu verstehen geben, daß das lose hängende Seil seinen sicheren Tod bedeuten würde. Ich bin also ein letztes Mal ins Wasser gegangen, diesmal ganz alleine und im vollen Vertrauen, daß er mir vertrauen würde. Und das Wunder geschah – der Wal lag bewegungslos im Wasser, wartete, bis ich das Seil entfernt hatte und schwamm dann ruhig davon.
Vom Strand aus sah ich meinen Freund noch lange wie einen riesigen Schoner durch die Fluten des Fjords brechen, auf seinem Weg in die Freiheit. Wir hatten beide an diesem Tag viel gelernt.